Von Patrick Bergmann, Geschäftsführer Madaster Deutschland
Während andere Branchen seit Jahren ausgeklügelte Digitalisierungsstrategien verfolgen, strebt ein Wirtschaftszweig immer noch nach traditionell gewachsener Beständigkeit: die Immobilienbranche. Andere Sektoren wurden dank des Einsatzes von digitalen Lösungen längst schneller und effizienter, doch die Bau- und Immobilienwirtschaft läuft dieser Entwicklung immer noch hinterher. Gründe dafür mag es viele geben, hoch im Kurs steht jedoch das allzeit beliebte Mantra „Das haben wir schon immer so gemacht“.
Was die Branche auch schon immer so gemacht hat: massiv gebaut, um dann alle 60 Jahre einmal komplett rundum zu erneuern. Im Innenausbau sprechen wir je nach Nutzung sogar von einer Zeitspanne von fünf bis zehn Jahren. Vor dem Hintergrund der steigenden Nachhaltigkeitsberichterstattung stellt sich nun eine Frage: Was passiert eigentlich mit all den verbauten Rohstoffen und Bauteilen, wenn ein Gebäude nicht mehr benötigt oder saniert wird?
Living in a material world
Die Antwort ist ganz einfach: Nichts. Das scheint auf den ersten Blick auch nicht sonderlich ungewöhnlich. Gebäude werden entkernt, abgerissen und der Schutt auf einer Deponie fachgerecht entsorgt. Bei genauerem Hinsehen ist es allerdings schon erstaunlich, dass unser Industriesektor wohl der einzige auf der Welt ist, der sich kaum Gedanken über Recycling zu machen scheint. Und das, obwohl es dabei nicht nur um Umweltaspekte geht, sondern auch um bares Geld. Es ist schon überraschend, dass ein so kapitalintensiver und kapitalorientierter Wirtschaftszweig wie unserer, der seit Jahrhunderten bewertet und bepreist, auf den Erlös der recyclingfähigen Materialien beim Rückbau in der Regel verzichtet.
Bei einem Blick über den Tellerrand zeigt sich: unsere niederländischen und skandinavischen Nachbarn sind da (mal wieder) einen Schritt weiter, dank digitalem Gebäuderessourcenpass. Eine Idee, auf deren Geschmack auch unsere neue Bundesregierung und die DGNB gekommen ist. Künftig sollen demnach auch in Deutschland für alle Gebäude digitale Materialpässe erstellt werden, die Auskunft über die verbauten Rohstoffe und Materialien geben. Ziel ist es, einen positiven Beitrag zur Kreislaufwirtschaft zu leisten, aktiv das Klima zu schützen und einer drohenden Ressourcenknappheit entgegenzuwirken. Positiver Nebeneffekt ist dabei, dass auf Basis der Passinformationen und mit Hilfe von Rohstoffbörsen künftig die tagesaktuellen Materialwerte von Objekten ermittelt werden können. Wird der richtige Abnehmer für bestimmte Materialien und Bauteile gefunden, kann sich ein Rückbau positiv in der Kalkulation niederschlagen. Auch leerstehende Gebäude ohne Mieterträge haben also einen „Restwert“.
All you need is BIM
Bei der Umsetzung wird es in Deutschland wohl schwierig. Theoretisch liegen alle benötigten Daten bei Planern, Bauherren oder Eigentümern vor, sodass ein lückenloser Übertrag in den neuen Gebäuderessourcenpass problemlos möglich sein sollte. In der Praxis sieht es jedoch oft noch anders aus. Denn häufig liegen die Daten noch in Papierform und verteilt auf unzählige Aktenordner in Abstellräumen ab, wenn sie nicht nach der Fertigstellung oder dem Verkauf direkt verloren gegangen sind. Digitalisierung? Weit gefehlt.
Dabei könnte es so einfach sein: Das Building Information Modeling (BIM) bietet eine Optimierung der Prozesskette während des Bau- und Planungsvorhabens und vereinfacht die Kommunikation mit den verschiedenen Gewerken. Dabei bietet BIM einen wesentlichen Vorteil: es beinhaltet alle relevanten Gebäude-, Material- und Planungsdaten. Diese Daten können als Basis für digitale Materialpässe Verwendung finden und bei Bedarf schnell und einfach online aktualisiert und gepflegt werden. Kurz gesagt: Wenn wir die Digitalisierung in der Bau- und Immobilienwirtschaft vorantreiben wollen, ist der Einsatz von BIM unabdingbar. Um auch in Zukunft ressourcenschonend und wirtschaftlich bauen zu können, müssen wir beginnen Gebäude als Rohstoffbanken zu verstehen.
Einziger Haken: der unterschiedliche Digitalisierungsgrad der Unternehmen. Auch wenn es angesichts des technologischen Fortschritts in allen Wirtschaftszweigen absurd erscheinen mag, gab es bis zum Beginn der Corona-Pandemie immer noch Unternehmen im Immobiliensektor, die sich bislang gar nicht mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt hatten. Die Gründe sind vielfältig, doch einer scheint besonders präsent: Der Immobilienbranche ging es in den letzten Jahren einfach zu gut, sodass Digitalisierungsmaßnahmen schlichtweg nicht erforderlich waren. Daher gilt: Um künftig nicht nur den Nachhaltigkeitsbestrebungen nachkommen zu können, sondern auch national und international konkurrenzfähig zu bleiben, wird es jetzt die größte Aufgabe der Immobilienwirtschaft sein, Daten zu digitalisieren.
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